Piz Bernina (4.049m) über Biancograt ... im zweiten Anlauf

2012
Der Gipfeltag

2012: BERNINA: Gipfeltag

… der Wecker schreit um 02:45 Uhr … was für eine unchristliche Zeit!

Egal ob gut geschlafen oder nicht – aufstehen war angesagt und zwar flott. Klamotten anziehen, Klettergurt herrichten, Sonnencreme auftragen, Zähne putzen, Toilette … und ab zum Frühstück, welches für 03:00 Uhr angekündigt war. Meine Uhr zeigte 03:05 Uhr und ich war mit der Letzte im Gastraum. Eine trockene Scheibe Brot und zwei Löffel Bircher Müsli … das war der Rest, der übrig war. Scheinbar waren die ersten schon um 02:00 Uhr auf den Beinen und haben alles geplündert. Egal, um diese Uhrzeit fällt es sowieso schwer etwas zu essen … trotzdem Frechheit. Kurzes Zitat der mürrischen Hüttenwirtin: „Es gibt nichts mehr“.

Statt Essen dann doch noch einmal Ausrüstung kontrollieren. Stöcke, Pickel, Steigeisen, Seil, etc. … alles dabei? Helm und Stirnlampe auf den Kopf und raus in die Kälte. Über Nacht hatte der Himmel vollständig aufgeklart … dafür war es aber auch um einiges kälter geworden.

Abmarsch kurz vor 03:45 Uhr im Dunkeln Richtung Fuorcla Prievlusa. Der Weg am Gletscherrand ist zwar mit Stoamandl’n und einigen Reflektoren markiert, sollte aber am Vorabend schon mal ausgekundschaftet werden um ein unnötiges „Umherirren“ auszuschließen. Ein paar exponierte Stellen des Weges sind sogar mit Eisenketten gesichert … an diesem Morgen sehr von Vorteil, da der Fels an manchen Stellen noch vereist war. Dies war wohl auch mit der Grund, warum alle (auch wir) mit Steigeisen rechts über die steile Firnflanke (40-45°) zur Fuorcla Prievlusa aufstiegen und nicht den „neu“ versicherten Steig über die linke Seite durch die Felsflanke benutzten.

In der Fuorcla Prievlusa konnten wir bereits bei einer kurzen Anseilpause die ersten Sonnenstrahlen genießen. Mittlerweile war unsere 8köpfige Mannschaft in drei eigenständige Seilschaften aufgeteilt, um schneller und vor allem etwas ‚flüssiger‘ voranzukommen. Raphi, Ines und ich bildeten (mal wieder) das jüngste Seilschaftsteam.

Obwohl der erste Felsabschnitt immer wieder von Eis und Neuschnee vom Vortag überzogen war, entschlossen wir uns ohne Steigeisen zu klettern, da die technischen Schwierigkeiten sich mit max. III (UIAA) in Grenzen hielten. Wir kamen recht zügig voran und waren froh, dass wir vor der Kletterei noch ein paar Seilschaften hinter uns lassen konnten. Nach gut einer Stunde Kraxelei dann endlich der erste Blick auf den eleganten Firngrat. Yippieee!

Die Freude auf dieses alpine Highlight wurde kurz darauf schon wieder etwas gedämpft, da wir noch vor Erreichen des Firngrates schon die ersten Windböen von gut 80 km/h abbekamen. Unschöne Sache, vor allem wenn die Temperaturen so um die Nullgrad-Grenze liegen. Ansonsten waren die Bedingungen am Grat nahezu perfekt. In schönem Trittfirn stapften wir weiter nach oben. Was von unten bzw. von weitem relativ flach wirkt ist in Wirklichkeit ein ‚ziemlich steiles Stück‘ Arbeit. In dem bereits erwähnten »Klassische Alpengipfel« von Pause wird noch eine Firn- bzw. Eisneigung bis 40° angegeben. In neuerer Literatur sind es bereits 45°-50°, was wohl eher der Realität entspricht.

An zwei Stellen ist der Grat so schmal, dass ich leider mehr mit meinem Gleichgewicht und dem präzisen Setzen meiner Füße beschäftigt war, als an Fotos zu denken. Kurz bevor wir den Piz Bianco (auch Piz Alv; 3.995m) erreichten hat der Wind nacheinander erst Ines dann auch mich mal von den Füßen gerissen … zum Glück an einer Stelle, an der Stürzen erlaubt war – ein ungutes Gefühl war es trotzdem. Ab dem Piz Bianco hatten wir dann für längere Zeit mal ziemlich schlechtes Wetter … und das ausgerechnet zum zweiten Felskletterabschnitt. Einige Seilschaften drehten wohl deswegen auch um.

Aufgrund der Wind-/Wetterbedingungen und der Tatsache, dass wir mit Steigeisen und Fäustlingen klettern mussten, brauchten wir für den Übergang vom Piz Bianco zum Piz Bernina genau 3 Stunden. Echt krass – liegen beide Gipfel doch nur ein Steinwurf voneinander entfernt. Immerhin gab es in der Zeit doch die ein oder andere windstille Nische mit Tiefblick vom Feinsten. Zum Glück verzogen sich die Wolken dann auch wieder und die Sonne sorgte für etwas mehr Wärme.

Den Gipfel des Piz Bernina (4.049m) konnten wir während unseres kurzen Aufenthalts ganz stolz alleine genießen. Der Ausblick vom einzigen 4.000er der Ostalpen ist wirklich einzigartig. Nach ein paar Fotos und einem Powerriegel machten wir uns dann aber auch schon wieder an den Abstieg zum Rifugio Marco e Rosa. Eigentlich nur gut 450 Hm, aber die haben es nochmal in sich. Der sogenannte Spallagrat weißt nochmals ein paar äußerst exponierte Stellen auf, die frei gegangen werden. Die Rufe meiner Nachsteiger, ob wir vielleicht schneller gehen könnten, wurden von mir ohne zu zögern mit NEIN beantwortet ;-).

Ab der Hälfte des Abstiegs sind zwei Felsstufen durch viermaliges Abseilen zu überwinden. Wir sparten uns etwas Zeit und kletterten einen großen Teil ab. Für den steileren Abschnitt im Mittelteil arrangierten wir uns mit den anderen zwei Seilschaften unserer Mannschaft, indem wir durch Zusammenlegen der Seile gleich eine Abseilpiste einrichten konnten. Der Auslauf zur Hütte war dann nur noch Kür und hätte lediglich Probleme bereitet, wenn wir keine Sicht gehabt hätten … dem war aber nicht so.

Trotz Reservierung nur noch Plätze im Winterraum und zum Abendessen Kartoffeln, Bohnen und Spiegelei … nach gut 12 Stunden auf Tour wären wir an diesem Abend wohl auch mit viel weniger zufrieden gewesen. Immerhin liegt die Hütte auf knapp 3.600m.

Tom

Weitere Artikel:
2011: Bernina: Der Versuch
2012: Bernina: Hüttenzustieg
2012: Bernina: Gipfeltag
2012: Bernina: Abstieg nach Morteratsch

Piz Bernina
de.wikipedia.org/wiki/Piz_Bernina
www.bergsteigen.at/de/touren.aspx?ID=2339

Rifugio Marco e Rosa
it.wikipedia.org/wiki/Rifugio_Marco_e_Rosa
rifugiebivacchi.cailugo.it

PANORAMA 4/2012 – Magazin des Deutschen Alpenvereins (aktueller Bericht)
www.alpenverein.de/dav-services/panorama-magazin

erstes Sonnenlicht am Nordgrat des Piz Roseg

hinauf zur Sonne in der Fuorcla Prievlusa

Piz Palü noch unter der Schlafdecke

erster Blick auf den Firngrat

starke Windböen erschweren den Weiterweg

Stairway to Heaven

bitterkalt am Piz Bianco

letzter imposanter Aufschwung zum Piz Bernina

am höchsten Gipfel der Ostalpen

ohne Worte

hinab zur Hütte

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